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Vernissage

„Fast Food“ im Eck

Von Kunst verstehe ich ein bisschen was. Ich habe ein wenig Wissen, das ich mir im Verlauf einiger Vernissagen, Ausstellungsbesuche und in Eigenrecherche angeeignet habe. Ich gehe gerne auf Vernissagen eher kleinerer Galerien, weil es dort etwas übersichtlicher als in großen Museen ist. Dabei lausche ich den Gesprächen der vermeintlichen Kenner, ohne mich einzumischen, und bilde mir hinterher eine Meinung. Dazu gibt es meistens Schnittchen und Sekt. Danach habe ich also auch gegessen und getrunken.
Meistens sind auf Vernissagen auch hübsche Mädels, die sich für den Abend in Schale werfen. Sie halten das Sektglas gekonnt, tragen kurze Röckchen oder Kleidchen und schwarze oder hautfarbene Feinstrumpfhosen und wissen sofort, in welche Kamera sie lächeln müssen, wenn sich ihnen Fotografen nähern. Ihr Zahnpastalächeln könnte ja am nächsten Tag in der Zeitung stehen oder noch in derselben Nacht im Netz zu bewundern sein. Neben ihnen stehen in der Regel Männer in schwarzen Rollkragenpullovern oder weißen Hemden aus der „Slim Line“, die keine Ahnung von dem haben, was sie gerade gesehen haben sollten, aber irgendjemanden kennen, der den Künstler kennt.

Neulich war es anders.
Vielleicht lag es am Künstler. Martin Kröger ist ein Aktionskünstler, der im öffentlichen Raum und weniger in Galerien und Museen ausstellt. Mit seinem „Gedenken an den Südbahnhof“ am Rande der Stadt wurde er auch außerhalb der Stadt bekannt. Kurz vor dessen Abriss baute er auf dem Bahnhofsplatz eine Modelleisenbahn auf und ließ dort so viele Züge fahren, wie stündlich den Bahnhof anfuhren. Es war ein kalter Märzsonntag, so daß sich nur ein paar Sympathistanten einfanden. Seine aktuelle Ausstellung, die ein halbes Jahr nach dem Abriss eröffnet wurde, in der Galerie „Unseretwegen“, trug den Titel „Abfallwirtschaft“.
Ein kleiner Raum, der früher ein Schreibwarengeschäft beherbergte, im Erdgeschoss eines Altbaus, der ironischerweise im Norden der Stadt lag. Vielleicht fanden deshalb nur ein paar Unentwegte dorthin, um sich mit der Systemkritik in künstlerischer Form wenigstens rhetorisch auseinanderzuesetzten.
Den Mittelpunkt bildete ein modellierter Südbahnhof, auf dem sich ein Trichter befand, der Eisenbahnwaggons, Brötchen und Barbiepuppen ausspuckte. Das Szenario war aufgebaut wie eines der Hinterglasdioramen, wie man sie noch vereinzelt an Bahnhöfen sehen kann. Rundherum gab es fünf verschiedene Themenecken, die irgendwas mit Niedergang und Verfall zu tu hatten.
Die wenigen Besucher gaben sich kenntnisreich und erkannten den Verfall der Zivilisation.

Sie stand etwas abseits des Geschehens.
Ihren hellgrauen Wollpullover mit Zopfmuster zog sie sich immer wieder über ihren Hintern, der von dunklen Shorts bedeckt war. Mir fiel sie auf, weil sie eben nicht so schick angezogen war. Als ich auf ihre dünnen Beine herabblickte, entdeckte ich eine schwarze Baumwollstrumpfhose, die sie sicherlich nicht zum ersten Mal trug. Auf den Oberschenkeln waren schon einige helle Fussel zu sehen, wie man sie nach mehrmaligen Tragen und Waschen eben zu sehen bekam. Ihre kurzen, dünnen, blonden Haare, fielen scheinbar unkoordiniert ins blasse wie schmale Gesicht, das von hellgrünen Augen wachgehalten wurde. Ihre Wangenknochen ragten ebenso hervor wie ihr Unterkiefer, der spitz zulief. Ich schätzte sie auf 22, 23 Jahre. Sie stand vor „Fast Food“, einem Werk, das vor Joseph Beuys sicherlich nicht zu einem Kunstwerk geadelt worden wäre.

grey-bw_pullover

„Es ist ugly“, gab sie mir zu verstehen, als ich nach einigen Anläufen neben ihr stand. „Man muss es nicht mögen, aber Kunst darf und und muss viel.“ Ich war einigermaßen irritiert. „Kröger will wachrütteln. Wir haben und konsumieren zu viel und wissen nicht, warum.“ Auf einmal stand sie wie ein Mahnmal vor dem Pappbecher und dem Dreck aus Luftschlangen, Konfetti und andrem Kram, der ähnlich vergessen wirkte wie die Schönheit vor mir.

Die Kunst verschwamm vor mir, weil ich nur ihre Strumpfhose sah. An den Knöcheln, wo ihre Dr. Martens aufhörten, warf sie Falten, wie sie nur Strickstrumpfhosen werfen können. Dagegen war sie auf den Knien vollkommen glatt. Wahrscheinlich stand sie schon länger so da.
„Wo ist denn Dein, äh, Begleiter?“ Wahrscheinlich lief ich nicht nur innerlich rot an. „Ich bin alleine hier.“ Ich brachte nun gar nichts mehr heraus. „Der Form halber: wer bist Du?“ „Pascal.“ Ich musste tatsächlich überlegen., so verdrehte sie mir den Kopf. „Ich heiße Nina. Du bist wohl auch alleine hier und hast von Kunst so viel Ahnung wie die ganzem Gäste hier, nech?“ Sie zog dabei ihren Pullover herunter, als ob sie sich vor mir schützen wollte. „Ich kuck halt ganze gerne.“ Etwas Originelleres fiel mir nicht ein. „Schon klar. Hinterher kannst Du über die Raumtempetatur mehr sagen als über die gezeigten Werke“. Ich wollte etwas darauf entgegnen, denn so ahnungslos, wie sie mich darstellte, war ich nicht. Aber ich konnte nicht. „Aber die Fussel meiner Strumpfhose interessieren Dich genauso!“ Sie strich sich mit ihrer rechten Hand über ihr linkes Bein. „Die sind doch auch Kunst, oder?“ Ich bewunderte mich in dem Moment für meine wiedergewonnene Schlagfertigkeit, gleichzeitig hätte ich mich auch dafür ohrfeigen können.
„So ein schönes Kompliment habe ich lange nicht bekommen!“ Musterte mich Nina anfangs kritisch, strahlte sie mich jetzt an. Ihre hellgrünen Augen glänzten im fahlen Scheinwerfer, der eher sie als das Kunstwerk beleuchtete. Zumindest bildete ich mir das ein.
„So, und jetzt gehen wir noch was essen! Ich hab Hunger!“ Ehe ich mich’s versah, nahm sich mich an der Hand, und wir standen plötzlich in einer Stimmung, die eine Voraahnung auf den kommenden Winter gab.
Doch das nahm ich nicht wahr, weil ich den Lenz in mir spürte.

October 28, 2014 at 1:04 pm Leave a comment

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